National- und Ständerat haben in der Frühjahrsession zahlreiche Entscheide gefällt und teils emotional debattiert.
Waffenlieferungen
Soll die Schweiz indirekte Waffenlieferungen an die Ukraine erlauben? Und wie soll eine Blockade des Sicherheitsrates durch eine Vetomacht umgangen werden? Diese zwei Fragen diskutierte der Nationalrat in einer emotionalen Debatte. Grundlage war eine Motion der nationalrätlichen Sicherheitskommission, welche die SP eingebracht hatte. Die Motion verlangte, dass eine Zweidrittelmehrheit der UNO-Vollversammlung einen Krieg als völkerrechtswidrig verurteilen kann. Dann wäre es der Schweiz erlaubt, einseitig Waffen an eine Kriegspartei zu liefern. SVP-Bundesrat Guy Parmelin erklärte im Rat, dass die Vollversammlung der UNO keine völkerrechtlich verbindlichen Entscheide fällen kann – anders als der UNO-Sicherheitsrat. Darum könne ein noch so deutlicher Entscheid der UNO-Vollversammlung Schweizer Waffenlieferungen nicht in Einklang mit der Neutralität bringen. Am Schluss folgten 117 der 200 Ratsmitglieder der Logik des Bundesrates und der Minderheit der Sicherheitskommission. Wesentlich knapper wurde das bereits geltende Recht bestätigt. Dieses erlaubt jetzt schon Waffenlieferungen, wenn der UNO-Sicherheitsrat einen Krieg als völkerrechtswidrig verurteilt. Diese Abstimmung endete mit 98 zu 96 Stimmen bei zwei Enthaltungen.
Neutralität gefährden?
In der Pipeline sind noch weitere solcher Vorstösse, die zünftig an unserer Neutralität rütteln wollen. Insbesondere eine parlamentarische Initiative der Mitte, die eine Mehrheit in der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates gefunden hat und die im Rahmen der Sommersession von der grossen Kammer behandelt wird, will explizit die Ukraine bevorzugen, was im völligen Widerspruch zum Kern des Neutralitätsrechts steht. Das Haager Abkommen von 1907, in dem wesentliche Rechte und Pflichten der neutralen Staaten festgehalten werden, verpflichtet die Schweiz, keine Waffen in ein kriegführendes Land zu liefern bzw. sämtliche Kriegsparteien gleich zu behandeln. Wer nun aber Waffenlieferungen in ein Land, welches in einen bewaffneten Konflikt verwickelt ist, zulässt, gibt die Neutralität auf und zerstört die Grundlage von Frieden und Wohlstand in unserem Land. Dabei war die Neutralität stets Garant für die innere und äussere Sicherheit unseres Landes und für das Erreichen friedlicher Lösungen. Sie hat die Schweiz seit über 200 Jahren den Frieden nach innen und aussen gesichert. Unser Land sollte sich vorrangig auf die humanitäre Hilfe, ihre lange diplomatische Tradition der «guten Dienste» sowie auf ihre Vermittlerrolle konzentrieren. Die Neutralität aber darf nicht gefährdet werden!
Kinderbetreuung
Der Nationalrat will, dass sich der Bund an den Kosten der Eltern für die familienergänzende Kinderbetreuung beteiligt, obwohl dies eine kantonale Aufgabe ist. Laut Entwurf besteht für jedes Kind von der Geburt bis zum Ende der obligatorischen Schulzeit Anspruch auf einen Bundesbeitrag, sofern es «institutionell» betreut wird. Traditionelle Familien gehen leer aus. Sie erhalten keine finanzielle Unterstützung. Der Bundesrat erachtet die Kosten für den Bund von mindestens 710 Millionen Franken im ersten Jahr als «nicht finanzierbar». Trotzdem hat der Nationalrat der Vorlage mit 107 zu 79 Stimmen zugestimmt. Die Vorlage geht nun in den Ständerat.
Windenergieoffensive
Nach der Solaroffensive vom September 2022 fordert der Nationalrat nun auch eine Windenergieoffensive. Neu sollen nicht mehr wie heute die Standortgemeinden, sondern die Kantone für die Baubewilligungen von Windkraftprojekten zuständig sein. Damit würde den Einwohnergemeinden und der direktbetroffenen Bevölkerung die demokratische Mitsprache entzogen. Als nächstes entscheidet der Ständerat. Ob auch er die lokale Bevölkerung von solch wichtigen Entscheiden ausschliessen will?
Vetorecht
Der Nationalrat will, dass das Parlament gegen Verordnungen des Bundes das Veto ergreifen kann und hat einer entsprechenden parlamentarischen Initiative mit 117 zu 70 Stimmen bei einer Enthaltung zugestimmt. Der Rat folgte damit der vorberatenden Staatspolitischen Kommission des Nationalrats. Diese war mehrheitlich der Meinung, dass das Veto dem Parlament mehr Mitsprachemöglichkeiten gibt. Die Staatspolitische Kommission des Ständerats hatte der Initiative in einer früheren Sitzung keine Folge geleistet und muss sich nun noch einmal damit befassen.
Kernkraftwerke
Der Nationalrat will nicht prüfen lassen, wie die Schweizer Kernkraftwerke für eine längere Betriebszeit ausgerüstet werden müssten und wie dies finanziert werden könnte. Er hat ein entsprechendes Postulat abgelehnt. Ebenfalls nicht aufweichen will der Nationalrat das absolute Moratorium für den Bau neuer Atomkraftwerke. Er hat im Rahmen der Debatte zum Energie-Mantelerlass mehrere entsprechende Anträge aus den Reihen der SVP und FDP abgelehnt. Das AKW-Bauverbot bleibt damit bestehen. Bis 2050 wird sich der Strombedarf in unserem Land verdoppeln. Wie die riesige Energielücke CO2-neutral ohne den Bau von neuen Kernkraftwerken gestopft werden kann, bleibt somit auch weiterhin unklar.
BVG 21
Die Reform der beruflichen Vorsorge steht. National- und Ständerat diskutierten die BVG-Reform in den vergangenen 15 Monaten während Dutzenden Stunden. Dazu kamen ellenlange Debatten in den vorberatenden Kommissionen. Nun nahm das Parlament die letzten Änderungen beim Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge an. Mit der sogenannten Reform «BVG 21» soll die berufliche Vorsorge für die Zukunft fit gemacht werden. Grund dafür ist, dass die Pensionskassen wegen der Überalterung der Gesellschaft zuletzt mehr Geld für die Finanzierung der laufenden Renten aufwenden mussten, als zuvor von Arbeitgebern und Angestellten angespart worden war. Dies führt zu einer Umverteilung von den Erwerbstätigen zur Rentnergeneration. Breiter Konsens im Parlament bestand, dass dies geändert werden muss – etwa durch eine Senkung des Umwandlungssatzes von 6,8 auf 6 Prozent, was eine Rentenkürzung bedeutet. Wie diese Leistungseinbusse kompensiert werden soll, war und bleibt aber umstritten. Noch gibt es eine weitere Hürde zu meistern: eine als sicher geltende Referendumsabstimmung.
David Zuberbühler
Nationalrat AR